Chinesische Beamte nisten sich bei den Muslimen im Wohnzimmer ein

Seit Jahrzehnten versucht die chinesische Regierung, die Kultur und Religion der muslimischen Minderheiten zu unterdrücken. Dafür findet sie auch immer kreativere Methoden.

Corina Gall
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In China werden Muslime im Alltag rigoros überwacht. (Bild. Michael Martina / Reuters)

In China werden Muslime im Alltag rigoros überwacht. (Bild. Michael Martina / Reuters)

Auf Auslandreisen bei einer einheimischen Familie zu leben, ist eine beliebte Art, eine fremde Kultur kennenzulernen. In der westchinesischen Provinz Xinjiang erleben die muslimischen Minderheiten das Konzept jedoch in seiner umgekehrten und unfreiwilligen Anwendung. 2016 startete die chinesische Regierung die Initiative «Zu einer Familie werden». Sie dient laut Peking dazu, die soziale Stabilität in der Region zu sichern. In der Realität bedeutet dies, dass die Muslime im Alltag rigoros überwacht werden. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schickte die Regierung allein im Dezember 2017 über eine Million Beamte nach Xinjiang. Rund eine Woche lebten sie jeweils bei einer muslimischen Familie und sammelten Informationen über deren Alltag.

Der Regierung sind die Muslime, von denen die meisten dem Volk der Uiguren angehören, schon lange ein Dorn im Auge. 1944 hatten sich Teile des heutigen Xinjiang für unabhängig erklärt, bereits fünf Jahre später jedoch wurde die Region in das kommunistische China integriert. Unruhen und Misstrauen dominierten von da an die Beziehungen zwischen den Uiguren und Peking. Heute leben elf Millionen Muslime in Xinjiang. Neben etlichen Verboten, die ihnen das Praktizieren ihrer Religion und Kultur erschweren, versucht die Regierung mit kreativen Massnahmen, ihnen die chinesische Kultur aufzuzwingen. Wie ginge das besser, als indem man sich in den Wohnzimmern der Uiguren einnistet?

In diesem Jahr hat Peking die Praxis laut Human Rights Watch intensiviert: Mindestens fünf Tage alle zwei Monate müssen chinesische Beamte bei «Gastfamilien» einziehen. Den betroffenen Familien bleibt nichts anderes übrig, als dem unwillkommenen Gast die Tür zu öffnen. Offene und persönliche Gespräche sollen sie von der Politik Xi Jinpings und der Kommunistischen Partei überzeugen. Allein dabei bleibt es nicht, schliesslich sollen die Uiguren assimiliert werden. Dazu gehören gemeinsame Aktivitäten wie das Hissen der chinesischen Flagge, Tanzen oder Gruppenspiele. Die Beamten melden dabei ihre Beobachtungen fleissig nach Peking.

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